Leseprobe

Wenn man die 70 überschritten hat und ein Büchermensch ist, überlegt man sich, ob es nicht an der Zeit ist, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Das tue ich nicht; aber ich möchte von Gästen,

die mich in meinem Leben besucht haben, erzählen. Manche waren lange an meiner Seite, manchen bin ich nur kurz begegnet, von anderen habe ich nur gehört und dann sind sie in meinen Gedanken zu mir 

gekommen und eine Weile geblieben. Manche sind in Form von Büchern, Liedern, Gedichten bei mir eingekehrt, und manche sind mir in Träumen erschienen – was aber nicht bedeutet, dass sie nicht auf ihre 

Weise real waren. Sie alle haben Spuren hinterlassen, die mein Denken und Handeln geprägt haben. Mit allen habe ich Zeit verbracht. Davon möchte ich erzählen.

Nicht erzählen werde ich von den Menschen, die nicht Gäste sondern Bestandteile meines Lebens waren und sind – mit einer Ausnahme. Von meiner Mutter werde ich – anders als von meinem Mann und meinen 

Kindern, die gar nicht oder nur am Rande der Geschichten auftauchen – in verschiedenen Kapiteln dieses Buches erzählen. Sie hat ihre Präsenz in viele Erlebnisse mit anderen Gästen hineingetragen.

All das geschah nicht in einem zeitlosen Raum. Ich bin Mitte des 20. Jahrhunderts geboren und die geschichtlichen Ereignisse, die die folgenden siebzig Jahre prägten, beeinflussten natürlich 

auch mein Leben und bildeten den Hintergrund meiner Erfahrungen. Deshalb spielt Zeitgeschichte in meine Erinnerungen hinein; deshalb geht es immer wieder auch um meine persönlichen Antworten 

auf historische Herausforderungen. Als ich Anfang zwanzig war, lasen viele Menschen den Bestseller „Eines Menschen Zeit“ von Peter Bamm. Das ist ein trefflicher Titel für ein Buch, in dem ein 

Mensch von den ihm zugemessenen Jahren erzählt. Im Sinne dieses Buchtitels gebe auch ich meine Erlebnisse weiter.

Natürlich hätte es noch viel mehr zu erzählen gegeben, was den Rahmen dieses Buches, so wie ich ihn mir gesetzt habe, sprengen würde. Deshalb musste ich eine Auswahl treffen. Und ausgewählt 

habe ich diejenigen Begegnungen, Erinnerungen, Bücher und Träume, die mir als erstes eingefallen sind, vielleicht, weil sie die wichtigsten für mich waren.