Im Dezember, nachts um 0.30 Uhr landete ich im indischen Neu-Delhi. Mit mir war Marianne, eine Bekannte aus Frankenberg, unterwegs, die ihren indischen „Ziehsohn“, der mehrere Jahre bei ihr und ihrer Familie gelebt hatte, besuchen wollte. Marianne war ebenso wie ich noch nie in Indien gewesen. Ich hatte von Deutschland aus ein Hotel gebucht und mit dem Transfer-Service ausgemacht, dass wir abgeholt würden.
Nachdem wir unsere Koffer in Empfang genommen hatten, kamen wir in die Ankunftshalle. Ich hatte mir eingebildet, dass mitten in der Nacht nicht so viel los sein würde, aber da hatte ich mich geirrt. Ich schätze, ungefähr 150 Menschen, überwiegend Männer, hielten sich dort auf mit einem Zettel in den Händen mit irgendwelchen Namen darauf. Ich schritt die langen Reihen ab und suchte den Namen des Hotels oder meinen eigenen – vergeblich. Nach einer halben Stunde beschloss ich, im Hotel anzurufen. Dort sagte man mir, dass man mich vergessen hätte und ich doch ein Taxi nehmen solle. Bevor ich mich nach einer Transportmöglichkeit umsehen konnte, musste ich erst einmal in die Wechselstube und ein paar Euros in Rupien umtauschen. Danach ging ich zur Flughafeninformation. Dort erfuhr ich, dass es zwei Möglichkeiten gibt, mit einem Taxi zu fahren. Es gibt Taxis, die vor dem Gebäude stehen. Dort kann man ganz normal einsteigen und die Zieladresse nennen. Allerdings ist nicht gewährleistet, dass man auch dort ankommt, wo man hin will. Es ist durchaus möglich, dass der Fahrgast unterwegs ausgeraubt und aus dem Taxi geworfen wird. Das ist nicht zwangsläufig der Fall, aber es kann passieren, besonders dann, wenn vermeintlich reiche Leute aus Europa oder Amerika in Indien unterwegs sind. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, ein registriertes Taxi zu nehmen. In diesem Fall wird das Kennzeichen des Taxis von der Flughafenbehörde festgehalten, ebenso der Name des Taxifahrers und der des Passagiers. Das ist zwar auch noch keine Garantie dafür, dass alles gut läuft, aber diese Fahrten sind sicherer.
Also buchte ich ein solches Taxi. Ein paar Jugendliche bekamen mit, dass ich so völlig „unbemannt“ unterwegs war. Folglich wollten mir alle helfen, das Taxi unversehrt zu erreichen. Der eine nahm meinen Koffer, der nächste wollte meine Handtasche, die ich ihm natürlich nicht überließ und der dritte nahm mich wie ein kleines Kind an die Hand, um mich zu dem gebuchten Taxi zu bringen. Marianne ging es genauso. Als wir beim Taxi ankamen, hielten alle Helfer die Hand auf, um für ihre „Mühe“ belohnt zu werden.
Der Taxifahrer nahm die Hoteladresse, die ich auf einem Zettel notiert hatte, entgegen und meinte dann, dass er das Hotel nicht kenne und ich ihm deshalb mithelfen müsse, es zu finden. Außerdem sei er nachtblind. Er trug eine Hornbrille mit sehr dicken Gläsern. Ich hatte nun erwartet, dass er langsam durch die nächtlichen Straßen fahren würde. Aber weit gefehlt. Dieser nachtblinde Taxifahrer legte einen Start hin wie Michael Schumacher zu seinen besten Rennfahrerzeiten. Nachts kann man in der Hauptstadt noch einigermaßen gut fahren, tagsüber gibt es stehenden Verkehr und es ist fast nicht möglich vorwärts zu kommen. Aber zu jeder Tages- und Nachtzeit liegen die „heiligen Kühe“ auf den Straßen herum, die umkurvt werden müssen. Diese armen Geschöpfe taten mir von Herzen leid. Kühe gehören nun mal auf eine Weide und nicht in die Großstadt.
Als wir ins Taxi stiegen, war es ungefähr zwei Uhr nachts. Wir fuhren und fuhren und fuhren. Die Gegend wurde immer seltsamer. Irgendwann hatte ich das Gefühl, im Rotlichtviertel angekommen zu sein. Der Taxifahrer hielt immer wieder an und fragte Passanten, die nachts unterwegs waren, nach dem Hotel, aber niemand konnte ihm Auskunft geben. Nach mehreren Stunden Herumirrens verlor ich die Geduld. Ich befahl dem Taxifahrer, am nächsten Hotel zu halten, damit ich dort fragen könne. Das tat er dann auch. Und wo waren wir? Genau an dem Hotel, das wir solange gesucht hatten. Inzwischen war es sechs Uhr morgens. Ich war gespannt auf die Taxirechnung. Immerhin waren wir fast vier Stunden unterwegs gewesen. Ich war erleichtert, dass ich umgerechnet nur fünf Euro zahlen musste.